Ich hatte sehr gut im Gästezimmer des Cafés und Konditorei Görgen in Treis-Karden geschlafen. Fit für den weiteren Weg. Auch das Frühstückbuffet war sehr ansprechend. Kein Wunder: Bei einer angebundenen Konditorei darf man was erwarten und so gab es unter dem frischen Gebäck auch frischen Plunder.
Anja kam dazu und wir liefen zusammen los. Es war ein sonniger Morgen und bei 18°C und einer frischen Brise ging es los.
Über einen geschotterten Waldweg gelangten wir zur Marienburg. Die Aussicht war überwältigend, auch weil die Mosel hier eine Schleife macht. Wir holten uns den nächsten Pilgerstempel ab und lernten dabei auch gleich einen Vater mit seiner sportlichen Tochter, beide aus dem Münsterland, kennen. Auf dem weiteren Weg liefen mal sie, mal wir vorne weg. Irgendwann beschlossen wir dann, gemeinsam zu gehen und so kamen wir zu viert in Zell an der Mosel an.
Dort fand ich endlich ein Geschäft, in dem ich eine Isomatte kaufen konnte. Nach der letzten gut geruhten Nacht hatte ich nun kein Problem mehr, die nächste Nacht möglicherweise wieder auf einem Campingplatz zu verbringen. Das zusätzliche Gewicht glich ich aus, indem ich ein paar Sachen einpackte und nach Hause schickte. Ein Schlafshirt? Brauchte ich noch nicht. Solarpanel? Schadet dem Akku eher, wie ich ja feststellen musste. Etwa 1,5 kg schickte ich per Paket nach Hause.
Als wir aus Zell wieder heraus waren, sollte einer der heftigsten Anstiege kommen. Der Weg begann unscheinbar zwischen zwei Glascontainern und verlangte sofort einiges von uns ab. Wir brauchten viel Kraft und Zeit, um den Waldweg bei enormer Luftfeuchtigkeit zu bewältigen. Etwa 300 Höhenmeter mussten auf 3 km bis zur Schutzhütte „Schöne Aussicht“ überwunden werden. Belohnt wurden wir mit einer überwältigenden Aussicht auf eine Moselschleife, die von bunten Weinfeldern gesäumt wurde.
Die weitere Strecke ging durch Wälder, war teils steil oder steinig. Wenige Male verpassten wir eine Abbiegung und mussten uns von meinem GPS leiten lassen. Zum Glück kamen wir immer wieder auf den richtigen Weg zurück.
Den Bummkopf hatte ich irgendwie nicht wahrgenommen. Laut meinen GPS-Aufzeichnungen habe ich ihn aber passiert. Nun denn…
Vor Enkirch fanden wir einen Zwetschgenbaum und erfrischten uns mit dem reifen Obst, das er trug. Sehr lecker!
Ich wollte gerade einen nahenden Regenschauer filmen, da war er schon direkt über uns. Schnell stellten wir uns unter einen Baum, taten die Regencapes über und liefen weiter. Wir beobachteten interessiert, wie die Wassermassen zwischen den Weinstöcken die Kanalisation erreichten, wo sie zu einem reißenden Strom gelenkt wurden. Enkirch hatte den satten Guss abbekommen, alles war noch tropfnass. Der Regen war nach wenigen Minuten schon vorbei und wich der warmen Sonne.
Wir gingen zur Tourist Info, um uns einen Pilgerstempel abzuholen. Wir wussten vom Pilgerführer, dass nun ein weiterer steiler Anstieg kam und Anja entschied sich gegen die Gefahr, auf dem Anstieg auszurutschen oder mit glitschiger Oberfläche kämpfen zu müssen und erkundigte sich nach einer Busverbindung.
Weil die supernette motivierte Mitarbeiterin so dafür warb, den Aufstieg zu machen, weil die Aussicht besonders sei, entschied ich mich für die Fortsetzung. Etwas Kampfgeist spielte auch mit: Ich wollte unbedingt den ganzen beschilderten Weg gehen.
So verabschiedeten wir uns bei schönem Sonnenschein vor der Tourist Info und ich pilgerte alleine weiter. Es ging tatsächlich schnell aufwärts – allerdings führten mich asphaltierte Straßen durch steile, verwinkelte Gassen durch die Häuser. Es sah wieder einmal ziemlich „urig“ aus.
Schließlich führten die Wegweiser zu einem Pfad, der aus Erde, Steinen und Treppenstufen bestand. Er führte zwischen den Häusern aus der Stadt hinaus auf saftige grüne Wiesen zu einer Schutzhütte. In dieser waren Informationen über einen Musik-Wanderweg angebracht, der an dieser Hütte vorbeiführte, und über die weiteren Wege, die diesen Teil des Berges spannten. Ich lief weiter in Richtung Traben-Trarbach.
Unterwegs konnte ich immer wieder den Mosellauf verfolgen. Boote auf dem Wasser und Inseln, die den Fluss stellenweise teilten, brachten Abwechslung. Auf der anderen Seite säumten dichte Laubwälder die Landschaft und oben, auf dem Gipfel, konnte ich längliche Gebäude ausmachen. Vermutlich verarbeitende Betriebe.
An einer Liebesbank fand ich eine Blechdose. Ich öffnete sie und fand Liebeskarten darin. Sehr schön gemacht. Ich schloss die Dose wieder. Eine kleine Geste mit einer großen Wirkung. So eine kleine Dose macht den Ort noch einmal zu etwas Einmaligem.
Weiter ging es durch Wiesen, Bäume behinderten die Sicht zur Mosel und es ging langsam wieder abwärts. Der Camino führte immer weiter in Wälder hinein. Teils wurde der Weg steiler und ich musste mit meinen Wanderstöcken aufpassen, dass ich den Halt nicht verliere. Statt Pilgern begegneten mir Menschen aus der Gegend. Familien und Frauen, die mit Hunden gassi gingen.Plötzlich setzte wieder der Regen ein. Furchtbar! Erneut musste ich das mittlerweile getrocknete Cape herausholen und über meinen vom Regen genässten Körper und Rucksack ziehen. Dann ging es weiter.
Auch beim Abstieg gab es zwischendurch Treppenstufen, die in den Kurven der Serpentinen Wanderer leiteten. Diese waren vom Regen nass – und schon war ich ausgerutscht. Zum Glück war ich vorsichtig gelaufen und konnte gleich wieder aufstehen und weiterlaufen. Allerdings fühlte ich mich unwohl in der Regenpelle. Auf meiner Haut waren Regen und Schweiß zu einer klebrigen Flüssigkeit vereint, außen der Regen, der das Cape an mich drückte, damit es auch möglichst viel klebte. Dazu war es etwas schwül. Kein schönes Gefühl!
Ich rief noch einmal in der Pilgerherberge an, denn ich wollte nicht zum Campingplatz laufen. Das wäre nochmal eine lange Strecke gewesen. Am Telefon erfuhr ich, dass ich doch noch unterkommen könnte. Aber ein Zelt auf dem Anwesen – nein, das kommt nicht in Frage.
Ich lief also weiter. Kilometer hatte ich noch vor mir und die lief ich einfach stur, ohne auf Schmerzen, Wetter oder das klebende Cape zu achten. Schließlich kam ich um 19 Uhr in der Herberge an. Anja hatte mitbekommen, dass ich um diese Zeit ankomme, und wartete am Eingang auf mich. Sie führte mich herum und zeigte mir das Pilgerzimmer, in dem auch ich schlafen durfte. Möglich wurde das, weil mehrere Pilger in einer Gruppe reisten und daher ohne Abstandsregeln nächtigen durften. So wurde etwas Platz frei, den ich nutzen konnte. Glück gehabt!
Den Abend verbrachten wir dann bei Döner und Pizza und „feierten“, dass wir nun die halbe Dauer unseres Camino hinter uns gebracht haben. Ich habe heute 27,1 Kilometer geschafft, insgesamt also etwa 108 Kilometer vom Camino.